Auf der Fähre liegt Fischgeruch in der Ostseeluft. Wind und die Wellen erzeugen ein Geräusch von Plastikfolie, die nicht richtig festgebunden ist und flattert. Nur wenige sind draußen, sitzen auf den Bänken und stellen sich der kühlen Brise. Leise tuckernd gleitet das Schiff dem Ziel entgegen, schon sind weit weg am Horizont erste Inselstreifen zu sehen, ein paar Hügel, Sand und Grün. Angelegt geht es mit dem Auto an kleinen Häusern und grasenden Pferden vorbei ins Landesinnere. Geduckte Häuser und Felder. Immer wieder kleine Verkaufshäuschen mit Asparges, Kartofeler. Hier brauchen Straßen keinen Mittelstreifen, ein Reh huscht über den Weg und verschwindet dann im Feld. Das Haus, klein und schwarz scheint aus dem Winterschlaf zu erwachen. Spinnweben an der Decke und den Stuhlbeinen. Der Hausmann trägt einen blauen und einen gelben Schuh und stellt eine Flasche vom selbstgebrannten Gin auf den Holztisch, dazu vier Flaschen Tonic Water. Das Internet fehlt, er löst das Problem mit einem Schalterdruck und spricht nicht viel, keine Erklärungen, nur: „Take care of my little house“ - I will.
Sechs Uhr morgens in gestreifter Bettwäsche. Der Sonnenfleck an der Decke wird größer, die bunten Plastikstreifen an der Tür tanzen im Wind. Weiß wogend bewegen sich draußen Vliesplanen über Pflanzen. Der Blick wandert über den dunkelgrauen Schieferboden zum gelb lackierten Holzschrank und dem antiken Tischchen mit zwei Stühlen. Neben dem Bett liegen Spiele und Bücher mit dänischen Titeln auf dem Bambustisch. Eine Holzleiter führt steil in die Koje unterm Dach. Die geöffnete Balkontür lässt die frische Luft vom Meer hinein, tief dringt sie in die Lungen. Vogelzwitschern, Taubengurren, Traktorengeräusche von weit weg, sonst Stille. Mit der Kaffeetasse in der Hand werden die nackten Füße vom feuchten Gras gekitzelt. Der Sonnenstrahl schleicht sich am Nachbarhaus vorbei und wärmt, bald wird er den grauen Holztisch an der Seite des Häuschens erreichen. Auf dem Feld werden die Vliesplanen aufgedeckt. Ein kleiner Traktor fährt vorbei, eine rotbackige Dänin sitzt hinten auf dem roten Pflug und hält per Hand die Spur. Frühstück - natürlich draußen auch wenn es frisch ist. Am Haus gegenüber beginnt der Nachbar den Rasen zu mähen, der ältere Mann hebt die Hand und grüßt.
Heute ist sind es ein Fasan und ein Entenpaar, die entspannt die Straße überqueren. Wenig Verkehr, Tranebjerg wacht erst auf. Ein Rucksack voll Verpflegung aus dem Supermarkt. Ein Abstecher nach Ballen, ans Meer. Picknicktische mit der Aufschrift „Strand“ stehen verlassen auf dem Sand. Etwas erhöht reihen sich die Ferienhäuschen mit Blick auf das Meer aneinander. Leise schlagen die Wellen ans Ufer. Über kleinen Kieselsteinen ist das Wasser so klar, fast türkisfarben. Eine Frau mit Hund sucht nach Steinen und Muscheln. Auf dem Steg geht eine ältere Frau nur in ein Handtuch gewickelt auf den Einstieg zu. Sie schwimmt jeden Morgen, zehn Grad hat das Wasser, sagt sie und lächelt dabei. Über autoleere Straßen und zwischen gelben Rapsfeldern hindurch geht es zum nächsten Strand. Weit und breit nichts als Dünengras, Sand und Meer. Die Sonne zaubert Funken aus Licht auf seine Oberfläche. Von hier aus ist der Norden der Insel zu sehen, zumindest ein paar Häuser, die ans Ufer gepflanzt wurden. Die Insel wird hügeliger, dann hört die Straße auf. Ein Parkplatz, zwei, drei Häuser. Der nördlichste Zipfel ist nur zu Fuß zu erreichen. Auf dem Hügel stehend zerzaust der Wind die Haare, die Arme wollen die Weite umarmen.
Das rote Dreieck auf grünem Grund lässt erkennen, dass hinter dem Häuschen ein Weg, vielleicht ein Rundweg verläuft. Ein Bauernhof mit Hallen und Gerätschaften und eine Diesel-Zapfsäule, die nicht erkennen lässt, ob sie in Betrieb ist. Der Blick auf den Fjord mit einem Haus oberhalb des Hügels. Mülltonnen stehen davor, also ist es wohl bewohnt. Mitten im Feld liegt ein Hügelgrab mit einem Kranz aus Steinen, in der Mitte zwei senkrechte Säulen und ein Dach aus Stein. Das Bellen der Fasane ist immer zu hören, ab und zu ist auch ein braun-graues Weibchen zu sehen, das nicht posiert, sondern schnell im Gras verschwindet. An der Wegkreuzung geht es links, da kommt ein Weg aus Löwenzahn und bald schon führt der Wegweiser durch ein Kuhgatter zum Fjord. Vogelstimmen, so viele, die Luft riecht nach Fisch. Das ockerfarbene Schilf am Ufer bewegt sich im Wind, weit hinten sind Häuser zu sehen. Auf einer Insel mit grünen Hügeln weiden Schafe. Weit entfernt kreisen zwei große Vögel. Boote liegen im Wasser, vertaut, schaukeln im Wind, so etwas wie Reusen, behängt mit Seetang. Die Muscheln knacken unter den Wanderschuhen. Ein Mann, der mähende Nachbar vom Morgen, blickt durch ein Fernglas auf den Fjord. Er beobachtet die Vögel im Naturschutzgebiet. Früher habe es hier viel Fisch gegeben, jetzt nicht mehr sagt er. Die Boote fahren heute aufs offene Meer hinaus. Auf dem Rückweg überholt er mit dem Fahrrad und bleibt doch immer wieder stehen, um Ausschau zu halten.
In Ballen am Hafen steht ein Fischwagen, frischer Fisch, eingelegter Fisch, geräucherter Fisch, ideal für ein Picknick am Strand in der Sonne mit Blick auf dieses unendlich blaue Meer. Der Wind reisst am Essen und zerzaust die Haare, aber das macht nichts. Auf dem Rückweg Halt an einem großen Holzregal, beim Bauern im Ort. Rote Beete, Neue Kartoffeln, Gurken, Sellerie. Die Radtour mit dem Rad des Hausmanns, das nur einen Gang kennt, führt nach Besser, den Ort zwei Kilometer weiter. Kaffee und Keks beim Kobmannsladen, zwischen Dänen sitzend. Stöbern durch Souvenirs und Essbarem von der Insel. Vorbei an der Morgan Garage und dann die Hügel rauf und runter weiter nach Besser Rev. Die Dächer kleiner Häuser schauen aus gelben Rapsfeldern, dahinter nur Blau, das Meer und der Himmel. Gutleutschafe grasen vor einem Anwesen, selbst bei den Kleinen schauen schon die Stumpen aus dem Kopf, welche einmal Hörner werden wollen. Auf Besser Rev brüten gerade die Vögel, daher kein Spaziergang über die schmale Landzunge. Abends auf der Terrasse gurren wieder die Tauben, Vogelzwitschern und Traktorengeräusch und das Wogen der Planen. Sonst nichts und das ist gut so.
Am Strand von Langore ist die Welt noch so wie sie sein soll. Zwischen Wind und Meer können Krankheit, Krieg und Corona im Wellenrauschen untergehen. Dieser Ort könnte auch in der Karibik sein, weißer Strand, klares türkisfarbenes Wasser, weit entfernt eine baumbewachsene kleine Insel. Auf dem Zipfel selber, ein paar Häuser hingewürfelt. Am Hafen herrscht reges Treiben: Jugendliche in langen Fischerhosen und Gummistiefeln versuchen sich im Angeln. Sie kommen von der Naturscola, ganz am Anfang von Langore, unzählige Fahrräder stehen vor dem Haus. Später werden die Kinder in einer Linie zu Fuß den Damm entlang laufen und dann mit dem Fahrrad zurück zu ihrem Zuhause.
Ein Hase hoppelt am Haus vorbei. Ein Fasan bellt, seit gestern ist er hier, wohl auf Brautschau. Doch die Angebetene lässt sich nicht blicken. Die Weibchen sind grau-braun, kleiner und verschwinden schnell im Gras, wenn man sie aufscheucht. Sind nicht so stolz wie die Fasanenmänner, welche ihre bunten Federn in den Himmel recken und sich ganz viel Zeit lassen um die Straße zu überqueren. Eine Feder wäre schön. Die Lungen füllen sich mit gesunder Luft, die einen Hauch von Meer in sich trägt. In die Nase strömt der Duft von frisch gemähten Gras. Man möchte diesen Morgen verankern, konservieren und mit nach Hause nehmen in die Stadt, wo alles grau und laut ist. Und doch riecht hier jeder Morgen anders. Das Wetter ändert sich ständig. Wolken, Regen, Sonnenschein, nichts ist zu bestimmen, es heißt sich hingeben und das Annehmen was kommt.
Heute wogt das Meer aus Plastikplanen nicht, kein Wind, Tauben gurren, Vögel zwitschern, ein Hahn kräht. Ein Mann geht mit seinem Hund spazieren, während die Sonne ums Haus streicht.
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Jorge Miguel (Montag, 25 Juli 2022 10:45)
Liebe Jeanette!!
Wie immer ein ganz toller Beitrag und wie immer auch "Gänsehaut feeling".
Un fuerte abrazo.
Schorschl
M. Müller (Dienstag, 26 Juli 2022 16:41)
Liebe Jeanette!
Du hast die kleine Insel wunderbar beschrieben. Ein wunderbarer Ort
Zum nachdenken. Ich wäre Auch gern einmal dort!
Michael Mühe (Samstag, 30 Juli 2022 15:28)
Liebe Jeanette,
es hat sich angefühlt, als wäre ich dabei gewesen.
Liebe Grüße aus Springe