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Tanz!Zeitz!

Die Treppen führen über drei Stockwerke in Räume voller Schutt und Staub. Zimmer fließen ineinander, der Weg durch die Fabrik scheint endlos. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben fallen Sonnenstrahlen. Die Hinterlassenschaften einer Rockband auf Böden und Wänden: Leere Bierflaschen, schwarze Tücher hängen von der Decke, Graffitis an der Wand. Wie Blut läuft rote Farbe über eine schwarz gestrichene Wand. Was ist Geschmiere, was Kunst? Die Orientierung geht verloren, die Räume gleichen sich, überall ist Dagewesenes spürbar.

Eine Fabrik mit Geschichte wird selber zu einer Geschichte für die Menschen, welche darin für eine Weile leben. Kaputte Fenster, Berge von Schutt in den Räumen: Die Nudelfabrik in Zeitz ist eine Industriebrache - der Heidelberger Investor Mathias Mahnke kauft sie 2017 genau aus diesem Grund: Hier gibt es noch freien Raum, Ateliers für Kreative sollen es werden. Als Max Emmerling 1909 seine Kinderzwieback- und Teigwarenfabrik in der Paul-Rohland-Straße in Zeitz errichtete hatte er noch keine Ahnung davon, dass hier einmal Künstler arbeiten werden.

Die Tänzer/innen des Tanztheaters Karlsruhe kommen in der Fabrik an. Sie sind nicht die ersten, welche diese Räume für sich entdecken, 2017 waren es zehn Künstler aus Rotterdam, die mit dem Kunstprojekt IPIHAN#17 Spuren hinterlassen haben.“If paradise is half as nice“ – der Schriftzug ist noch zu sehen. Matratzen liegen auf Paletten in einem Raum, der so groß ist wie die Grundfläche eines Einfamilienhauses. In der Küche hängt ein Boxsack von der Wand, auf den Fliesen Namen und Zuständigkeiten, die Planung für eine Party. Jetzt stehen Gemüsekisten auf dem Boden - Tomaten, Süßkartoffen, Kürbisse - Vorrat für eine Woche Tanzworkshop. Paul ist da, die gute Seele, manche würden Hausmeister sagen. Er arbeitet ununterbrochen - inzwischen hat er eine Wohnung in der Fabrik - entsorgt Schuttberge, streicht Wände, installiert Lampen. Bringt Ordnung in das Fass ohne Boden. Inzwischen gibt es Bäder, saubere Räume mit Betten, eine Küche. Dank ihm und seinen Helfern.

Erforschen. Wieder taucht ein Körper unverhofft durch einen Durchbruch, eine Begegnung, ein Lächeln und es geht weiter. Wie Getriebene suchen die Tänzer/innen nach Möglichkeiten, welche sich in der Vergänglichkeit verstecken. Hoffen etwas zu finden, das sie weiterbringt, verändert. Abgeblätterte Farbe hängt in Fetzen von Wand und Säule, der Raum wirkt monumental wie eine Kirche. Lichtfenster auf dem Boden: die Sonne bohrt sich durch trübe Scheiben in die Dunkelheit. Hier ist Platz, Raum für Neues. Leere Räume ohne Türen und Fenster: Da wo nichts ist, ist ganz viel: Spielraum. Zwischenraum. Wirk-Raum. Und Durchbruch zum Neubeginn.

In der Fabrik ist es ruhig, nur von außen kommen immer wieder Geräusche, die auffliegen und weiterziehen. Immer wieder hallt ein Gesprächsfetzen aus einem Raum, der nicht zu orten ist. Leise Musik und Geräusche von der Straße. Gegenüber fällt Schutt in den Container. In der prallen Julisonne klettern Männer mit nacktem Oberkörper durch ein Fenster aufs Dach. Es riecht nur ganz leise nach Staub und Farbe.

Die Musik trägt durch die Weiträumigkeit, nackte Füße fühlen den weichen Teppichboden, tanzen frei und lustvoll. Das Treppenhaus wird zur Bühne, Ideen kommen und nehmen Gestalt an. „Im Osten geht die Sonne auf“ – an diesem Ort werden Konflikte aufgebrochen und verarbeitet. West und Ost verbunden durch eine offene Tür. Stacheldraht trifft Blumenteppich. Performt wird mit Schreien, Dreck und Stofffetzen, weinen und singen. Dann - endlich im Garten Eden. Und Fahnen voller Kunst fallen aus Fenstern.

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