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Winter auf Sylt

 Wer jetzt auf Sylt ist, muss die Insel lieben. Die Biikefeuer am 21.Februar können ein Grund sein, sich zu dieser Zeit den eisigen Wind um die Nase wehen zu lassen und dabei zu sein, wenn der Winter vertrieben wird.

Mit einem kalten Korn geht es los: Claas-Erik Johannsen steht auf der Leiter, schwingt eine Rede und prostet den Gästen zu: "Wir sind alle Friesen!" Auf dem Benen-Diken-Hof in Keitum gehört das zur Biikebrennen-Zeremonie. Der Hausherr hat rote Backen, es ist kalt, auch der Korn kann nur bedingt helfen, aber Johannsen bringt sie alle zum Lachen. Noch ist es hell, um 18 Uhr, der Tross setzt sich in Bewegung Richtung Dorfmitte Keitum, zum Feuerwehrhaus. Der Spielmannszug gibt Volkstümliches zum Besten, Fackeln werden angezündet, man formiert sich zum Zug. Und der ist fast so lang wie der Weg zum Biikefeuer. In der Ferne ist der große Stapel aus Weihnachtsbäumen und Geäst zu erkennen, die brennenden Fackeln tanzen wie Glühwürmchen in der Dämmerung, bewegen sich auf ihn zu. Dann explodiert ein Feuerball, noch sind die Letzten gar nicht angekommen, und schießt als eine Flamme gen Himmel - das Biikefeuer brennt gewaltig. Wenn jetzt die Blechtonne oben auf dem Stapel noch in die richtige Richtung rollt, könnte es klappen mit dem guten Sommer. Ansprachen auf Deutsch und Sölring behandeln aktuelle Brennpunkte im Dorf, singende Kinder versuchen sich an der Hymne "Üüs Söl'ring Lön'" (Unser Sylter Land), Korn und Glühwein machen die Runde - jetzt sollte der Winter vertrieben sein.

Das Feuer fängt stark an, lässt dann aber auch ebenso schnell nach, selbst die fliegenden Fackeln können es nicht weiter nähren. Doch alles halb so schlimm, der nächste Höhepunkt ist auf dem Benen-Diken-Hof schon angerichtet: Das traditionelle Grünkohlessen mit Schweinebacke, Kassler und Kochwurst. Damit alles gut verdaut wird, weiß sich der Friese zu helfen: In der Bar vom Benen-Diken-Hof wird mit Johannsen Junior und Senior "gekümmelt" was das Zeug hält.

Ein Wintermorgen auf Sylt, der Tag nach dem Biikebrennen. Es ist der Tag der Seefahrer, die damals aufbrachen, um ein halbes Jahr später mit reichlich Fang und Zaster zu ihren Frauen zurückzukehren. Dem Gerücht nach kamen bald darauf die Dänen-Männer rüber, um den Ehefrauen die Langeweile zu vertreiben ... Seemannsgarn eben.

 

Dieser Wintermorgen beginnt entspannt in der gemütlichen Schlafkoje vom Landhaus Stricker in Tinnum: Die Lavazza steht bereit, der Kaffee rattert in die Tasse. Draußen ist es trüb und kalt. Nebenan im Restaurant ist die ganze friesische Frühstücksvielfalt aufgebaut, vom Sylt-Ei bis zum Friesenbrot (Krabben auf Brot mit Spiegelei). Bis 14 Uhr (!!!) kann man sich durch das Buffet schlemmen, der absolute Langschläfer-Luxus. 

Wer vom Kaffee noch nicht genug hat, macht sich auf nach Rantum, zur Kaffeerösterei Sylt. Christian Appel, der ehemalige Sportjournalist kam von Köln zurück in seine Heimat, um Sylt mit gutem, von Hand geröstetem Kaffee zu versorgen. In dem ehemaligen Gewerbegebiet überrascht die Rösterei im Industriedesign - so könnte sie auch in Berlin oder Hamburg aussehen. Wie aufs Stichwort wird der selbst gebackene Kuchen hereingetragen, noch warm aus der Backstube, das gehört für Appel dazu. Er röstet den Kaffee so, wie er ihn selber gerne trinkt, nicht zu dunkel und nicht zu hell. Diese Mischung hat ihm immerhin einen Platz unter den 50 besten Röstereien Deutschlands eingebracht. Sein Kaffee heißt Elke, Freya oder Okke - einige Freunde waren Namensgeber, alles andere war ihm zu langweilig. "Kenia" schmeckt nach Haselnuss und "Elke" ist gefällig kräftig: Wir probieren vier gefilterte Espresso-Sorten, pur natürlich, denn daran lässt sich der wahre Kaffee-Genießer erkennen. Die Milch für den Cappuccino vom kommt vom Bauer Nielsen und der Röstvorgang von Hand dauert bei ihm 30 Minuten statt 70 Sekunden industriell - Appel macht eben alles anders, hier auf der Insel.

Wir haben noch den Duft vom Rösten in der Nase, als wir bei der Fischräucherei um die Ecke biegen: Hochprozentig soll es jetzt mit Whiskey weitergehen. Alles beginnt mit einer Schnapsidee in einem Hamburger Business Club: Die vier Gründer der Sylter Trading treffen sich zufällig am Tresen, trinken ein paar Whiskey und entdecken die gemeinsame Leidenschaft für diesen und die Insel Sylt. Drei Wochen später trifft man sich auf der Insel und beschließt hier Whisky zu verkaufen. Die Jungs der Sylter Trading lassen brennen und haben zudem jede Menge Einzelfassabfüllungen, die man sonst nicht bekommt, an Bord. Ein 33 Jahre alter Whiskey wurde vor kurzem für 1400 Euro verkauft, an einen Sammler. Inzwischen stehen Whiskey-Tees (ohne Aromastoffe, mit echtem Sprit), Gin, Likör und ein eigener Scotch in den Regalen. Der Letztere ist mit Nordseewasser versetzt - so verleiht Sylt hier dem Whiskey einzigartig die salzige Note. Noch reift Einiges in den Sherry-Fässern, doch wir probieren den ersten Dreijährigen und lassen ihn sich mild in der Kehle ausbreiten. 

Nach so viel Wärme von innen kann die Kälte nicht mehr angreifen. Über den Deich vom Rantumbecken zum Teekontor nach Keitum geht es scheinbar endlos geradeaus, rechts und links das Watt. Wasservögel haben sich auf Steinkreise gesetzt und auch das Schilf bildet Inseln. Nichts lenkt ab, weil die Landschaft ruhig und die Natur im Winterschlaf ist. Im Teekontor Keitum ist es warm und riecht nach Tee. Der Klassiker "Königsfriese" und der pinkfarbene "Biikefeuer" dampfen in den Tassen, dazu ein Stück Friesentorte - so einfach kann man Menschen glücklich machen. In Sesseln sitzend, mit weißen Teetassen in der Hand blicken wir durch große Fenster auf das graue Nichts - und das ist gut so.

Der Himmel hellblau wie in Milch getaucht, gelber Strandhafer strähnt die dunkelbraune Heide - die Farben des winterlichen Sylt sehen aus wie der ausgewaschene Sommer. Gerade das macht den Reiz zu dieser Zeit aus. Bei Kampen vor dem Roten Kliff ducken sich reetgedeckte Häuser hinter den Dünen, als ob sie sich vor dem kalten Wind verstecken wollten. Wir lassen den Blick über die Insel schweifen und denken, dass es hier einfach schön ist, auch im Winter.

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